Mein Kind saß neulich am Küchentische und bastelte etwas für den Schulunterricht. Da erinnerte ich mich an eine Aufgabe, als ich in der zweiten Klasse war. Ich sollte eine Tagesration Lebensmittel für Menschen in Ostdeutschland Ende der 1940er Jahre nachstellen. Also eine Scheibe Graubrot, ein kleiner Würfel Margarine, ein Klecks Marmelade und drei Kartoffeln (die genaue Menge weiß ich nicht mehr).
Da die Eltern der Mitlernenden meines Kindes zwischen Mitte zwanzig und Anfang fünfzig Jahre alt sind, überlegte ich, wie alt die Eltern in meiner Klasse damals 1976 waren. Meine Eltern waren Anfang Dreißig – 1944 und 1945 geboren. Sie hatten keine konkreten Erinnerungen an die Rationierung. Die Eltern mindestens eines Mitschülers waren Anfang fünfzig Jahre alt – Ende der 1920er Jahre geboren. Sie waren nach Kriegsende junge Erwachsene und hatten sehr konkrete Erinnerungen an Hunger und Rationierung. Während meine Eltern keinen echten Bezug zu meiner Fummelei mit den Lebensmitteln hatten, war das bei meinem Mitschüler ganz etwas anderes. Die Brot und Fett wanderten nach dem Anschauungsunterricht in den Müll. Wie muss das wohl für die Eltern meines Mitschülers gewesen sein?
Wenn ich den Bogen zu der Klasse meines Kindes zurückschlage, gehöre ich der um 1968 geborenen Generation an, die vor der Wende junge Erwachsene waren, während Eltern von Mitschülern der Nachwendegeneration angehören. Für sie sind Erzählungen aus der DDR so weit entfernt wie für meine Eltern Geschichten aus dem Krieg.