Meine persönlichen Eindrücke von der WikiCon 2018 in St. Gallen. Zitate meist sinngemäß und gelegentlich falsch zugeordnet. Für Hinweise und Nachrichten jeder Art danke ich pflichtschuldigst.
Die WikiCon ist das Treffen der Communitys der deutschsprachigen Wikipedia und ihrer Schwesterprojekte. – https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiCon_2018
Donnerstag, 4. Oktober 2018
Ich bin einen Tag eher angereist. Etwa 10 Stunden mit dem Zug von Berlin über Augsburg und Buchloe (sprich: Buchlo-e, eine Eisenbahnerstadt) nach St. Gallen.
Da die Hügel der Stadt die ersten Erhebungen für Wolkenformationen aus West bis Nordost sind, kommt es oft zu tagelangem Stauregen oder Schneefall. Die Wolken stauen besonders im Alpsteingebirge, und es kommt zu Niederschlag. Bei Nord- oder Nordostwind herrscht in der Gallusstadt Bisenlage, es wird also sehr kalt. Dies ist meist mit Hochnebel verbunden, da sich die kalten, feuchten Luftmassen am Boden festsetzen, während in höheren Regionen schönes Wetter herrscht. – https://de.wikipedia.org/wiki/St._Gallen#Klima
Die Stadt begrüßt mich mit freundlichem Sonnenschein. Vom Bahnhof zum Hotel sind es nur 10 Minuten. Nach eine kurzen Pause gehe ich den Weg zur Kantonsschule erkunden; so heißt hier das Gymnasium. Der Weg führt mitten durch die Altstadt vorbei am Unesco-Welterbe-Kloster. An der Klostermauer ist die Stelle bezeichnet, wo im 17. Jahrhundert ein Plumpsklo war. Touristen kaufen Kuhglocken.
Freitag, 5. Oktober 2018
Ich habe Frühdienst. Ab 9:00 Uhr darf ich in der Küche der Kantonsschule helfen. Es ist niemand vom Organisationsteam da. Der Koch weiß nichts. Nach 20 Minuten lässt er mich helfen. Ich decke zusammen mit einem polnischen Wikipedianer Tische ein. Ich fühle mich gut, weil ich helfen konnte. Noch ein Schlenderchen durch die Stadt. Nachmittags ist der Veranstaltungsort voller. Freundliche Grüße von Bekannten. Etliche „ach so siehst Du aus“ mit Leuten, bei denen beiderseits bisher nur der Benutzername bekannt war. Es gibt Rivella-Brause und Kapsel-Käffchen. Wir sitzen im Innenhof neben einem Brunnen in schönstem Sichtbetonbrutalismus über dem der klassizistische Altbau aufragt. Die Konferenz findet im Neubau statt. Der ist großzügig geschnitten und technisch hervorragend ausgestattet.
17:00 … 17:15 … 17:20 gongt ein Gong und alle dürfen in die Aula zur Begrüßung. Den Eröffnungsvortrag hält die Schweizer Dozentin Cristina Sarasua, die aus dem baskischen San Sebastian stammt. Sie hält ihre Vorträge sonst auf Englisch. Diesmal hat sie sich vorgenommen, Deutsch zu sprechen.
Sonst spreche ich viel schneller. Ich komme mir richtig dumm vor.
Warmer Beifall. Der Vortrag dreht sich um das Semantische Web, strukturierte Daten und Wikidata. In der anschließenden Panel-Diskussion sprechen Cristina sowie Christian Geiger (Chief Digital Officer St. Gallens), Ralf Liebau und Perrak (Wikipedianer).
Als Stadt überlege ich immer: Welche Daten kann ich freigeben? –Christian
Offene Daten bergen immer Risiken hinsichtlich des Datenschutzes. In der deutschen Wikipedia dürfen Namen und Geburtsdaten der Kinder von Prominenten nicht genannt werden. Ich der englischen schon. es gibt unterschiedliche Kulturen des Datenschutzes. Was ist, wenn die Daten in Wikidata stehen? – Perrak
Wo bleibt die versprochene goldene Zukunft mit Wikidata? Ich merke nichts. – Ralf
Wieso dürfen in Wikidata Wikipedia-Artikel als Quellen angegeben werden? – Ralf
Komplexe Sachverhalte lassen sich mit aus Daten generierten Texten notwendiger Weise nur vereinfacht darstellen. – Ralf
Qualität kann durch Menschen und Algorithmen geschaffen werden. Entweder verbessern wir die Technologie soweit, dass sie es allein schafft, oder wir bleiben bei dem Hybriden aus Mensch und Algorithmus. – Cristina
Zum Abendessen gibt es Käsefondue.
In der Spätsession geht es um Umgangsformen in der Community. Auf dem Panel sitzen Lukas Mezger (Wikipedia, Wikimedia Deutschland Präsidium), Kritzolina (Wikipedia, Wikimedia Foundation), Vera Krick (Wikimedia Deutschland) und Achim Raschka (Wikipedia). Es gibt einen freien Platz für spontane Gäste und ein Saalmikrofon.
Lukas zeigt als Einleitung zwei Dutzend Zitate aus der Diskussionsseite des Wikipedia:Kurier. Sie stammen von einem einzigen Tag. Beleidigungen, Unterstellungen, Rundumschläge. – Lachen im Saal.
Haben wir ein Problem? – Lukas
Wir brauchen die Auseinandersetzung, aber bei Streitereien sinkt die Effizienz. – Kritzolina
Beim Streit um den Daniel Ganser-Artikel haben ein paar Leute ein klares Ziel: Andere Leute aus der Diskussion wegbeleidigen. – jemand aus dem Saal
Mancheiner verliert jedes Maß bei der Verteidigung „seines“ Artikels. – Kritzolina
Als alter Hase kennt man sich über Jahre hinziehende persönliche Konflikte. Diese machen 50% der Vandalismusmeldungen aus. – Achim
Wenn zwei Dickfellige sich öffentlich beharken hat das Auswirkungen auf Dünnhäutige. – Kritzolina
Diese krassen Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Lasst uns auf die riesige Menge unter dem Wasserspiegel schauen. – Vera
In der Folge wird das Bild des Eisbergs immer wieder aufgegriffen und überstrapaziert.
Aus den unverbindlichen Leitlinien wurden betonharte Regeln, an denen sich ständig jemand verletzt. – Achim
Administratoren wird aufgehalst, göttergleich in Konflikten zu richten, statt sich im technische Aufgaben kümmern zu können. – Achim
Die Community Health Initiative der Foundation hat begonnen, Konflikte in den Communities zu untersuchen. – Kritzolina
Von Leuten aus der Uni höre ich immer „Ich habe es erfolglos versucht“. Nie höre ich „Es war mit technisch zu kompliziert“ wenn ich frage, warum sie nicht in der Wikipedia arbeiten. – Stimme aus dem Saal
Ich glaube nicht, dass man pädagogisch auf die Diskussionskultur einwirken kann. – Kritzolina
Eine Kommentarzeile mit vier Akronymen kann auf Neulinge sehr einschüchternd wirken. Die denken ‚Wow, da bin ich ja ganz schön zusammen gestaucht worden.‘ – Stimme aus dem Saal
Wenn über einen neu angelegten Artikel nochmal gesprochen werden muss, kann man eine Hinweisbox einfügen. Warum heißt die „Löschantrag“? Versteht niemand, was das bei neuen Wikipedia-Autoren auslöst? – Stimme aus dem Saal
Man hat so ein Ohnmachtsgefühl wenn man Konflikten ausgeliefert ist und man hofft auf Hilfe von irgendwo – Admins? Foundation? Verein? – Stimme aus dem Saal
Zum Abschluss fragt Lukas, wie Community, Verein und Foundation mit der Situation umgehen könnten.
Persönliche Gespräche helfen – Kritzolina
Der Verein hilft bereits bei Konflikten im „realen Leben“ – Vera
Der Verein wird „on-wiki“ nie in Konflikte eingreifen – Vera
Der Verein wird Kommunikationstrainings anbieten – Vera
Die Foundation wird in Zukunft mehr auf Konfliktherde in den verschiedenen Communities hinweisen – Kritzolina
Das Abschluss sitzt jemand aus dem Saal auf dem freien Panelstuhl, stellt sich als „Seemann mit Beratererfahrung“ vor und rät, sich nicht zu sehr mit den Eisbergen zu beschäftigen, sondern im gewaltigen Ozean der Community in warme Gewässer zu steuern.