Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung der Wikimania 2014 in London. Foto: Sebastian Wallroth, CC-BY-SA-3.0

Bericht aus London #wikimania2014

Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung der Wikimania 2014 in London. Foto: Sebastian Wallroth, CC-BY-SA-3.0
Teilnehmer an der Eröffnungsveranstaltung der Wikimania 2014 in London. Foto: Sebastian Wallroth, CC-BY-SA-3.0

Zwei randvolle Tage Wikimania liegen hinter mir, zwei weitere folgen. Hier ein Zwischenbericht.

Donnerstag Abend bin ich in London angekommen und fand meinen Weg zum Hotel Dank der Beschreibung auf Website der Wikimania ganz gut: Mit den Gatwick-Express zu Victoria-Station, dann mit der blauen U-Bahn nordwärts, umsteigen und dann mit der schwarzen U-Bahn südwärts. Die Station Old Street hat vier Ausgänge – ich nahm den, an dem „Barbican“ stand, denn „Barbican“ (deutsch Barbakane – ein dem Tor einer Burg oder Stadtmauer vorgelagertes Verteidigungswerk) ist Bestandteil des Namens des Hotels „Thistle City Barbican Hotel“ , wie des Veranstaltungsortes „Barbican Centre„. Laut Beschreibung sollte von der Old Street rechts abbiegen und käme dann mehr oder weniger geradezu zum Hotel. Aber in welche Richtung sollte ich der Old Street folgen? Ich hatte zudem keinen Internetzugang mit meinem Handy – so konnte ich die Kartenfunktion nicht nutzen. An einer Bushaltestelle sah ich einen Umgehungsplan. Leider umfasste dieser nicht die Straße, an der das Hotel liegt. Ein freundliches Gespräch mit zwei Dresdner Touristen verhalf mit zu dem Hinweis, dass eine Straßenecke weiter eine Telefonzelle sei, an der es kostenloses WLAN gäbe.

Ein Blick auf die Karte und ich hatte meine Marschroute. Die Veranstalter hatten ein gutes Händchen bei der Wahl der Location. Alles findet in der City of London statt, dem historischen Zentrum der Stadt. Ein lebendiges, geschäftiges Viertel, in dem Angestellte, Bewohner und Touristen herumquirlen. Am Wegesrand gibt es pittoreske mittelalterliche Kirchen, ein- bis zweistöckige, mehrhundertjährige Gebäude, kleine Parks, aber auch Plattenbauhochbauten. In den Sichtachsen grüßen Landmarken wie St Paul’s Cathedral und The Shard. Auffällig ist die Allgegenwart von eisernen Zäunen. Das Hotel ist gut; vor dem Eingang stand eine große Gruppe Wikimedianer und schnatterte, dass man es drei Straßen weit hörte.

Den Freitagmorgen startete ich mit einem Full English Breakfast.

Board Training Workshop

Dann nahm ich von 9:00 bis 18:00 an einem Trainingsworkshop für Vorstands- bzw. Präsidiumsmitglieder[ref]Nur bei Wikimedia Deutschland heißt der Vorstand „Präsidium“. Die englische Bezeichnung lautet „board“. Ich werde im Folgenden „Präsidium“ verwenden[/ref] von Wikimedia-Chaptern teil.

Development House, London. Foto: Sebastian Wallroth, CC-BY-SA-3.0
Development House, London. Foto: Sebastian Wallroth, CC-BY-SA-3.0

Der Workshop fand in einem Besprechungsraum im Tiefgeschoss des Development House statt, in dessen vierter Etage das britische Wikimedia-Chapter sein Büro hat.

An meinem Vierer-Tisch saßen Vertreter aus Finnland, Polen, der Schweiz und Italien an anderen Tisch welche aus der Ukraine, Israel, Österreich, Australien, Indonesien und so weiter. Der erste Teil des Workshops wurde von Mike Hudson von Compass Partnership bestritten, die Wikimedia UK durch Beratung zu mehr Professionalität verholfen hatten.

Themen (Auszug)

Die wiederkehrenden Stufen der Entwicklung eines Präsidiums

  • Gründungsphase
  • Frühes Wachstum
  • Anstellung von Mitarbeitern
  • Reifende Organisation
  • Erwachsene Phase

mit jeweils Phasen der Unsicherheit dazwischen.

Die zehn wichtigsten Rollen des Präsidiums

  1. Vision, Mission und Werte definieren und anpassen
  2. Strategie entwickeln und Erfolg messen
  3. Richtlinien einführen und überwachen
  4. Finanzielle Basis sichern und überwachen
  5. Rechnungslegung sicherstellen
  6. Geschäftsführer auswählen und unterstützen
  7. Risiken managen
  8. Rechtliche Lage absichern
  9. Lenkungsformen (Governance) einführen und regelmäßig prüfen
  10. Verständnisvolle und weise Entschlüsse fassen

Die Grundlagen einer guten Lenkung durch das Präsidium

  1. Gut als Team arbeiten
  2. Effektivität der Besprechungen sicher stellen
  3. Das notwendige Wissen und die notwendigen Erfahrungen haben
  4. Auf die Strategie fokussieren
  5. Mit Offenheit und Vertrauen agieren

Womit könnte man die Qualität der Arbeit des Präsidiums sicher stellen?

  • Feedback nach Besprechungen
  • Bewertung des Vorsitzenden
  • Selbstrevision (auch mit externen Beratern)
  • Individuelles Feedback
  • Unabhängige Beurteilung (Governance Review)

Charakteristiken wirklich effektiver Präsidien

  1. die kritischen Funktionen sind kristallklar festgelegt
  2. angemessene Gremiumsstruktur, die die Governance-Arbeit durchführt
  3. Mitglieder, die nach Fähigkeiten und möglichen Beiträgen ausgewählt werden
  4. Extrem gute Zusammenarbeit als Team
  5. stramme Durchführung des Governance-Prozesses
  6. das Präsidium akzeptiert die Strategie und überwacht streng die Umsetzung
  7. Vorsitzender und Geschäftsführer arbeiten partnerschaftlich zusammen
  8. die Arbeit des Präsidiums wird regelmäßig bewertet

Die theoretischen Vorträge wurden durch mehrere praktische Übungen ergänzt.

Den Zweiten Teil bestritt Prof. Dariusz Jemielniak, unter anderem Mitglied des Funds Dissemination Committee (FDC) der Wikimedia Foundation.

Zunächst stellte er die Arbeit des FDC vor. Dieses Freiwilligengremium nimmt die Finanzpläne so unterschiedlicher Organisationen wie der Wikimedia Foundation, von Wikimedia Deutschland oder Wikimedia Israel entgegen, prüft und bespricht sie in einem drei- bis viertägigen Sitzungsmarathon und bestätigt oder kürzt dann die Zuweisung von Spendenmitteln. Dazu gibt es eine knappe Erläuterung für die Antragstellern. Meine skeptischen Fragen zu diesem Prozess wurden mit einiger Aufregung registriert. Ich würde gern mehr darüber wissen.

Dann stellte Dariusz Techniken und deren Anpassungen für die Arbeit eines Präsidiums an der Strategieplanung vor, zum Beispiel die SWOT-Analyse. Des weiteren wurden Beispiele für Firmen und Organisationen besprochen, deren strategische Aufstellung fehlschlug, wie Polaroid oder Kodak.

Der dritte Teil drehte sich um die weit verbreitete Überlastung der Präsidiumsmitglieder und daraus folgende Burnouts. Zuvor hatte es eine Umfrage unter den Teilnehmern gegeben, die folgendes zeigte

  • 1 bis 5 Jahre Gremiumsmitarbeit
  • 2/3 haben Angestellte
  • für die meisten sind die inhaltlichen Anforderungen wie erwartet
  • für viele ist die zeitliche Belastung deutlich höher als erwartet
  • den meisten macht die Arbeit im Gremium Spaß
  • die Gründe dafür sind: Einfluss, Auswirkungen der eigenen Arbeit, die Zusammenarbeit mit talentierten Leuten

Mein Fazit des Workshops

Ich bin auf ein paar Punkte gestoßen, die neu für mich waren, zum Beispiel der Gedanke, dass die Arbeit von Freiwilligen in einem Gremium wie dem Präsidium durchaus gemessen und bewertet werden kann und muss.

Des weiteren verstehe ich jetzt einige Äußerungen von ehemaligen Präsidiumsmitgliedern wie Sebastian Moleski, Alice Wiegand oder Delphine Menard wie auch des Vorstandes Pavel Richter zum Thema Governance. Zuvor fehlte mir theoretische Hintergrund, was ich auch durch Lektüre etlicher Literatur nicht ausgleichen konnte. Sehr schade, dass ich erst jetzt zu diesem Wissen komme – es hätte vieles vereinfacht und manches hätte ich anders entschieden, wenn ich das eher zur Verfügung gehabt hätte. Ich hatte schon länger das Gefühl, dass mir Informationen fehlen, aber die Fragen nach passenden Schulungen wurden ignoriert. Ich werde mich dafür einsetzen, dass künftige Präsidiumsmitglieder ausreichend geschult werden, damit ihre Arbeit dem Verein bestmöglich dienen kann.

Außerdem war es sehr interessant, mit Mitgliedern anderer Boards zu sprechen. Ich hoffe ich konnte einigen die Scheu vor dem vergleichsweise gigantischen Wikimedia Deutschland nehmen.

Eröffnungsveranstaltung

Zur rechten Zeit verließen wir das Tiefgeschoss und lüfteten unsere rauchenden Köpfe bei einem Fußmarsch zum Veranstaltungsort der Wikimania 2014. Das Barbican Centre ist eine gigantische Veranstaltungsort-Maschine aus Stahl und gekratztem Beton aus den 1970er Jahren. Die Queen eröffnete 1982 dieses größte Kultur- und Konferenzzentrum Londons, Sitz des London Symphony Orchestra.

Nach Anmeldung, einem Snack und ein paar dünnen Bierchen öffneten sich die Türen zum großen Saal, den rund 1.600 Wikimediane aus 68 Ländern nahezu füllten.

Es gab zunächst Reden des Veranstaltungsorganisators Edward Saperia (sorry, er kann besser organisieren als reden) und des Geschäftsführers von Wikimedia UK Jon Davies (sympathisch).

Dann kam Jimbo Wales, der die Wikimania-Rituale durchführte (Wer ist zum ersten Mal auf einer Wikimania? – Die überwiegende Mehrheit) und recht knapp programmatisches besprach.

Er ging auf den gegenwärtigen Missbrauch des „Rechts auf vergessen werden“ ein, wie auch auf den Rechtsstreit darum, ob der Besitzer der Kamera, der Affe oder niemand das Urheberrecht an einem Foto hat, dass der Affe von sich selbst gemacht hat.

Stroopwafel selfie. Foto: AlisonW, CC0-1.0 via Wikimedia Commons
Stroopwafel selfie. Foto: AlisonW, CC0-1.0 via Wikimedia Commons

Dann wie er darauf hin, welche Macht die Wikimedia Bewegung inzwischen hat, dass sie diese aber weise einsetzen muss.

Dann hielt die neue Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation Lila Tretikov ihre erste Rede vor versammelter Mannschaft. Der warme Applaus konnte nicht über ein wenig Fremdeln hinwegtäuschen. Das wird schon.

Die begeistert aufgenommene Keynote hielt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International.

Dieser anstrengende, aber sehr befriedigende und anregende Tag klang mit den Bläsersätzen einer mitreißenden Band aus, die „traditionelle englische Musik“ spielte, also Rolling Stones, Elton John, Electric Light Orchestra und so.


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