Berge. Fotograf: =Yan= CC-BY-SA-3.0

Der Mann im Autokäfig

Berge. Fotograf: <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%D0%9A%D0%B0%D0%B2%D0%BA%D0%B0%D0%B7_062.jpg">=Yan= CC-BY-SA-3.0</a>
Berge. Fotograf: =Yan= CC-BY-SA-3.0

Als wir über die bucklige Asphaltpiste zum Friedhof des langezogenen Dorfes gingen, um historische Grabsteine zu sehen, fuhr eine seltsame Wagenkolonne langsam an uns vorbei.

Unser Auftauchen hatte schon seit einer halben Stunde die Dorfhunde zu Höchstleistungen getrieben, aber jetzt steigerten sie sich zu waren Arien. Frauen mit weißen Kopftüchern traten vor die Türen, verschränkten die Arme unter der Brust und blinzelten finster auf die polternden Wagen. Die drei Männer und ein paar Kinder, die uns bisher in sicherer Entfernung gefolgt waren, wandten sich dem neuen Wunder zu. Ihre Blicke verfinsterten sich noch mehr, was ich nicht für möglich gehalten hätte.

Am Anfang der Kolonne fuhr ein hellblauer PKW mit einem großen Blaulicht auf dem Dach. Hinten fuhr ein LKW mit Zeltplane über der Ladefläche. Die Zeltplane wie das Fahrerhaus waren wohl mal gelblich olivgrün, aber der Staub hatte alles in ein stumpfes Gelb getaucht. In der Mitte fuhr die eigentliche Attraktion. Ein LKW mit langer Schnauze, auf dessen Ladefläche ein Käfig geschweißt war. Darin saß ein finster blickender junger Mann in Wattejacke und Jeans. Auch er war stumpf gelb gefärbt vom Straßenstaub, der sich hinter dem Dorfeingang in einer langen Fahne langsam auf die Felder legte.

Die Kolonne fuhr bis zum Dorfplatz neben der Kirche mit dem eingestürzten Turm, die wir kurz nach unserem Eintreffen besichtigt hatten. Ein Baugerüst aus grausilbernem Holz stand etwas schief um die nackten Ziegel der Turmfußes herum. Langsam fuhren die Autos in einem Halbkreis. Immer mehr Menschen kamen von den Häusern und Gärten. Die Autos blieben stehen. Am letzten Wagen wurde die Plane zurückgeschlagen und ein paar Uniformierte mit olivgrünen Helmen blickten mürrisch hervor. Aus dem PKW war ein Offizier mit grotesk großer Schirmmütze auf dem kleinen Kopf ausgestiegen und schritt rasch mit langen Stiefelbeinen zum letzten LKW. Eine Handvoll Soldaten springen betont lässig vom LKW. In einer Hand je eine Maschinenpistole mit freundlich gekrümmtem Magazin. Die Uniformierten stellen sich locker um den mittleren LKW. Zwei, die der Kirche am nächsten stehen, stecken sich eine Zigarette an.

Eine kleine Menschenmenge hat sich auf dem Platz zusammengestellt. Drei Hunde laufen aufgeregt um die Beine der Dorfleute. Einer bekommt einen Tritt und springt freudig jaulend weg und wieder heran.

Der Offizier hält eine Ansprache durch ein Megaphon. Ich frage einem meiner Begleiter, worum es geht. Er erklärt mir nach einer Weile leise in schwer verständlichem Englisch, dass das im Käfig ein Terrorist sei. Der sei bei einem Bombenanschlag in einem Flughafen dabei gewesen. Es gab ein paar Tote. Der Typ hätte sich in der Nähe herumgedrückt, um die Aktion zu filmen. Er hätte auch ganz schön was abgekriegt, sage ich ich einigermaßen verblüfft über diese Geschichte. Naja, das zugeschwollene Auge hätte er sich wohl später zugezogen, grinst mein Begleiter schief.

Die Rede des Offiziers zieht sich ein bisschen hin. Die Leute stehen schweigend, ohne sich zu rühren. Die Hunde haben sich gelangweilt hingelegt, nur einer läuft noch mit seinem buschigen Kringelschwanz wedelnd herum. Wir haben uns an die Friedhofsmauer gelehnt. Meine Begleiter hören finster schweigend sehr aufmerksam zu. Der bisherige Spaßvogel unserer Gruppe blickt am finstersten unter seinen schwarzen Augenbrauen hervor.

Die riesige Schirmmütze des Offiziers wippt nachdrücklich. Er scheint seine Rede mit einer Aufforderung abzuschließen. Aus der Menge werden ein paar Sätzen zu dem Mann im Käfig gerufen. Der hat sich nach dem Ende der Rede kerzengrade hingestellt und scheint etwas zu erzählen. Jemand aus der Menge kommentiert seine Worte. Ein paar Männer lachen heiser. Ein Kind guckt mich vom Arm der Mutter aus streng prüfend an.

Ich frage, was denn los ist. Mein Begleiter kaut zwischen den Zähnen hervor, dass der junge Mann aus der Gegend hier stamme und jetzt dem Volk Rede und Antwort stehen solle. Nach dem Anschlag hätte es zwar Geschrei und Staub und Blut gegeben, aber die meisten Leute im Flughafen hätten nur einen großen Bogen um die Unglücksstelle gemacht. Der Anschlag hätte keine große Auswirkung auf die Gesellschaft gehabt. Das Leben gehe weiter.

Warum wird der Mann hier vorgeführt frage ich. Ach, das machten die immer so mit „bearbeiteten“ Terroristen. Die sollten hier erzählen, dass Anschläge überhaupt keinen Sinn machten. Mein Begleiter kneift ein Auge zu und lacht heiser. Diese Vorführungen hätte nur dazu geführt, dass die Organisatoren der Anschläge verstärkt auf Selbstmordattentäter setzten. So könnte niemand umgedreht werden.

Mein Mund ist trocken. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Die Menge wird mutiger und lacht manchmal lauthals zu Rufen von einigen Männern.

Dann klettern die Soldaten wieder auf ihren Wagen, der Offizier läuft einmal um den Käfigwagen herum und steigt in den PKW. Die Kolonne setzt sich in Bewegung. Ein paar Leute lösen sich aus der Menge. Ein paar stehen noch finster blickend zusammen. Zwei Jungen und ein Mann haben sich schon wieder uns zugewandt.

Wir gehen langsam zu unserem Bus. Ich sage zu dem Spaßvogel, dass ich die Geschichte unglaublich fände. Wieso würde das gemacht? Was machen sie denn bei Euch mit Kinderschändern, fragt er. Hier werden die ausgestellt und von der Menge verhöhnt. Ich bin verwirrt. Ich frage den immer sehr ernsthaft wirkenden Begleiter, neben dem ich Bus sitze, was denn das nun genau gewesen sei. Nichts, sagt er. Das sei so eine Tradition. Sowas wie das Winteraustreiben. Und irgendetwas müsse man halt gegen die Alkoholiker tun. Ich trinke einen Schluck Tee aus der Flasche.


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