Der Freitag auf der #Wikimania in London

Am Donnerstag, auf dem Heimweg von der Eröffnungsveranstaltung der Wikimania 2014 ins Hotel unterhielt ich mich auf der Straße mit mehreren Leuten und kam deswegen erst spät ins Bett.

Vortrag: Wie ich einen Artikel für eine andere Enzyklopädie schrieb und wie es im Vergleich zu Wikipedia war

Ich hoffe, die späte Ankunft im Bett gilt als Entschuldigung dafür, dass ich mich nicht an meinen Plan hielt und den ersten Vortrag verpasste. Ich bekam nur noch die letzten zehn Minuten von Amir E. Aharonis Bericht über die Arbeit in einem geschlossenen Wiki mit. Es muss wohl sehr frustrierend gewesen sein, wenn man die Arbeit in der Wikipedia gewöhnt ist. Die Arbeit ging nur langsam voran und man hilft sich nicht untereinander.

Vortrag: Allgemeinwissen? Eine Ethnografie der Wikipedia (über Vertrauen, Misstrauen, Verrat und Treue)

Für mich folgte ein Vortrag von Dariusz Jemielniak. Den kannte ich ja schon vom Vortag aus dem Board Training. Dariusz ist außerordentlicher Professor an der Kozminski University[ref]Link zur englischen Wikipedia, da der Artikel in der deutschen Wikipedia total veraltet ist. Oh, wie es mich in den Fingern juckt, diesen Artikel zu überarbeiten, aber jetzt schreibe ich erst mal diesen Bericht hier[/ref] und leitet das Forschungszentrum Organisationen und Arbeitsplätze. Er bediente sich für seinen Vortrag aus den Recherchen zu seinem Buch „Common Knowledge? An Ethnography of Wikipedia„. Insbesondere ging er auf die sogenannte „Essjay Controversy“ ein (Kurzbeschreibung in der deutschsprachigen Wikipedia, ausführliche Beschreibung in der englischsprachigen Wikipedia).

Der Wikipedia-Benutzer mit dem Benutzernamen „Essjay“ gab an, dass er Professor sei und verwendete diese Reputation um öffentlich auf Personen außerhalb der Wikipedia einzuwirken. Essjay hatte abseits der behaupteten Reputation hohe Rechte in der Wikipedia einschließlich des Rechts, Seiten zu löschen und Benutzer zu sperren. Essjay veröffentliche jedoch an anderer Stelle seine tatsächliche Identität: es handelte sich um einen Studenten Anfang zwanzig, der noch keinerlei wissenschaftliche Grade erlangt hatte.

Dariusz ging auf die Lehren aus diesem Fall ein.

  • Eine künstliche Identität in der Wikipedia wird vollständig akzeptiert und stark verteidigt. Jimbo Wales hatte sich zu Anfang der Kontroverse stark für das Recht Essjays auf Anonymität stark gemacht.
  • Das Behaupten von Meriten oder Titeln außerhalb der Wikipedia ist jedoch unzulässig und wird nicht toleriert. Wenn die behaupteten Titel gar zur Einflussnahme außerhalb der Wikipedia eingesetzt werden, wird das Recht auf Anonymität verwirkt.
  • Es wird nur eine künstliche Identität in der Wikipedia toleriert. Sich mehrere Identitäten zuzulegen, um seinen Einfluss zu erhöhen wird unter dem Begriff „Sockenpuppen“ innerhalb der Community streng geahndet.

Es haben sich in der Wikipedia klare Normen für die Erlangung und den Erhalt von Reputation gebildet. Auch die Wechselwirkung mit Reputationen außerhalb der Wikipedia sind bereits genormt.

Funfact: Obgleich der Vortrag brillant war, gehören die Vortragsfolien zum schlechtesten, was mir je untergekommen ist.

Pause

In der Pause sprach ich unter anderem mit dem Programmierer Kolossos. Ein Thema war der Umzug der Wikipedia-Tools von Wikimedia Deutschlands Toolserver auf die Wikimedia Labs der Wikimedia Foundation. Alles im allen lief der Umzug wohl ganz gut. Ein aktuelles Ärgernis ist, dass die Tools alle in einer Umgebung laufen. Wenn ein Tool das System zum Absturz bringt, müssen alle anderen Tools von Hand neu gestartet werden. Das ist insbesondere für Entwickler ärgerlich, die mehrere Tools betreuen.

Vortrag: Foto:Wikipedia

In dieser Session sprach Jonas Öberg über den miserablen Stand der Attribution (dem Nennen des Autors und der Lizenz von Fotos) im Internet und in anderen Medien.

Bildschirmfoto des Mediawiki-Medienbetrachters mit Attributionsdaten. Bildschirmfoto: Sebastian Wallroth, Gemeinfrei
Bildschirmfoto des Mediawiki-Medienbetrachters mit Attributionsdaten. Bildschirmfoto: Sebastian Wallroth, Gemeinfrei

Notizen

  • Verweis auf elog.io, eine Website, die Tools zur Attribution von Medien bereit stellen will
  • Ist die Attribution „Image:Wikipedia“ vielleicht OK? Das wäre doch das Einfachste für den Nachnutzer von Medien?
  • Der derzeit in der Wikipedia Einzug haltende Medienbetrachter bietet die korrekte Attribution an (ist aber noch ausbaufähig)
  • Wie attributiert man Sounds und Videos korrekt?
  • Beim Upload sollten Autor und Lizenz in den EXIF-Daten der Bilder stehen

Vortrag: Wie man nicht ins Gefängnis geht trotzdem weiterhin Fotos aus Wikimedia Commons nutzt

Bildschirmfoto Lizenzverweisgenerator. Foto: Sebastian Wallroth, Gemeinfrei
Bildschirmfoto Lizenzverweisgenerator. Foto: Sebastian Wallroth, Gemeinfrei

Mathias Schindler, Mitarbeiter in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland, gab in diesem überaus stark besuchten Vortrag eine Einführung in das Thema „Rechtlich sichere Nachnutzung von Bildern aus Wikimedia Commons“ und stellte dann ein Tool vor, dass zumindest für das Rechtsgebiet Deutschland hohe Sicherheit bietet.

Notizen

  • 2012 gab es in Deutschland 21 Gefängnisstrafen wegen Copyrightverletzungen
  • Urheberrecht ist also nicht nur Zivilrecht, sondern auch Strafrecht!
  • Was ist das beste Versteck der Welt? – Ein Endbenutzer-Lizenzvertrag (engl. Abk. EULA)
  • Die Firma PC Pitstop hatte in der EULA eines seiner Produkte einen Abschnitt, in dem eine Geldprämie ausgelobt wurde, wenn man sich auf diesen Abschnitt bezog und an eine bestimmte E-Mail-Adresse schrieb. Erst nachdem 3.000 Lizenzen verkauft waren meldete sich ein Englischlehrer und erhielt 1.000$.
  • Wikimedia Deutschland hat zusammen mit Rechtsanwälten den Lizenzverweisgenerator entwickelt. (Große Heiterkeit im Publikum über diesen lustigen deutschen Namen.) Der Lizvergen (Eigenschöpfung des Autoren) nimmt URLs von in der Wikipedia verwendeten oder von Wikimedia Commons stammenden Bildern entgegen und erzeugt einen rechtlich einwandfreien Attributionstext.
  • Etwas Ähnliches leistet das Stockphoto Gadget, allerdings weniger ausgefeilt und nicht auf die deutsche Rechtslage spezialisiert
  • Der Lizenzverweisgenerator steht unter einer Freien Lizenz und sein Quellcode steht zur Verfügung

Vortrag: Verrückte Urheberrechtsstreitfälle, die die Community-Kreativität behindern

Yana Welinder und Michelle Paulson (beide Mitarbeiter der Rechtsabteilung der WMF) stellten Beispiele aus der Arbeit der Rechtsabteilung der Wikimedia Foundation vor. Es handelte sich zumeist um Beispiele aus dem Rechtsgebiet USA, da die Foundation erfolgreich darauf abstellt, dass Server und Projekt in den USA beheimatet sind.

Pause

Die Konferenzveranstalter haben sich ganz liebreizend um das Rahmenprogramm gekümmert. Es gab wundervolle Livemusik von Klassik bis Pop in den Pausen.

Vortrag: Jenseits von Diskussionsseiten: Unterstützung der Zusammenarbeit mit Flow

Die Wikimedia Foundation-Mitarbeiter Quiddity (Community Management), EBernhardson (Programmierung) und MGalloway (Design) stellten den Stand des Tools Flow vor, dass die Diskussionskultur in den Wikimedia-Projekten revolutionieren soll.

[gview file=“http://real68er.de/wp-content/uploads/2014/08/Wikimania-Flow-presentation.pdf“]

Die Herangehensweise im Vortrag war, dass die gegenwärtige Situation beleuchtet und Anwender und Anwendungsszenarien herausgearbeitet wurden, um damit die Entscheidungen bei der Entwicklung von Flow begründen.

Gegenwärtige Situation

  • Wo in einem Diskussionsstrang fange ich an zu schreiben?
  • Wo antworte ich?
  • Neulingsfrage: Was hat es mit den Doppelpunkten auf sich? :::#::::::
  • Neulingsfrage: Wie füge ich eine Signatur ein?
  • Wie beobachte ich Diskussionen effizient?
  • Wie, außer mit Diffs kann ich neue Diskussionsbeiträge heraus filtern?

Anwendungsfälle

  • Diskussion zu einem Artikel
  • Diskussion zu einem Benutzer
  • Mentorschaft
  • Diskussionen auf Hilfeseiten
  • Hinweise und Warnungen
  • Diskussionen zu Vorlagen und Kategorien
  • Checklisten
  • Abstimmungen

Danach wurde der gegenwärtige Stand der Entwicklung von Flow vorgeführt.

Sichtbare Auswirkung ist die Funktion „Hinweise“, die in den Wikipedias rechts oben Einzug gehalten hat und die ich für sehr praktisch erachte.

Was als nächstes kommen wird ist eine Art „Topic“-Funktion auf den Diskussionsseiten. Auf den Diskussionsseiten gibt es jetzt schon den Link „Abschnitt hinzufügen“. In Zukunft wird so ein Abschnitt eine eigene Entität, auf die man verlinken, die man moderieren, datieren, sortieren, markieren, ein- und ausblenden usw. kann. Das kann man bereits ausprobieren, das ist dokumentiert und Feedback ist erbeten.

Bei der Topic-Funktion frage ich mich, warum man sich nicht einfach Forum-Tools als Vorbild nimmt. Wird hier das Rad neu erfunden?

Vortrag: Messung der Community-Vitalität: Lebenszeichen der Wikimedia-Projekte

Aaron Halfaker, Forscher bei der Wikimedia Foundation stellte ein Projekt vor, in dem standardisierte Werte für die Messung der Nutzerbeteiligung in Wikimedia Projekten gefunden werden sollen.

[gview file=“http://real68er.de/wp-content/uploads/2014/08/Metrics_Standardization_-_Wikimedia_Research__Data_showcase_-_March_2014.pdf“]

Ich hatte zuvor eine starke Meinung zu dem Thema („Das geht doch gar nicht“). Aaron hat es jedoch geschafft, mich zum Umdenken zu bewegen. Es geht nicht um einen Indikator, der die Qualität eines Wikipedianers über alle Aufgaben hinweg darstellt. Aber die Qualität der Arbeit an Teilaufgaben, wie dem Hochladen von Bildern, der Diskussionskultur oder der Artikelqualität könnten sich durchaus angemessen ausgewogen darstellen lassen. Als mögliches Vorbild nannte Aaron die Scorecard auf Google Scholar.

Außerdem ließen sich mit entsprechenden Daten Fragen beantworten, wie:

Werden neu registrierte Benutzer in der deutschsprachigen und der niederländischsprachigen Wikipedia eher zu aktiven Autoren als in der englischsprachigen?

Bedeutet es mehr Aufwand inaktive Autoren zu aktivieren als neu angemeldete Benutzer zu aktiven Autoren zu machen?

Mit den mit Daten unterlegten Antworten ließen sich die Projekte der Wikimedia Bewegung nachvollziehbarer und aussichtsreicher planen.

Bildschirmfoto von Dash. Foto: Sebastian Wallroth, gemeinfrei
Bildschirmfoto von Dash. Foto: Sebastian Wallroth, gemeinfrei

Zum Schluss zeigte er den Prototypen des Auswertungstools Dash.

Vortrag: Interface Vision

Jared Zimmerman zeigte in einem inspirierenden Vortrag seine Vision zur Oberfläche der Wikipedia. Er zeigte unter anderem, wie ein A-B-Test funktioniert und wischte mit dem Bild eines dieser Zeit fressenden Nebenbeispiele das Argument beiseite, „man hätte keine Zeit für Freies Wissen zu arbeiten“.

Vortrag: Das Athena-Projekt: Wo stehen wir?

Brandon Harris präsentierte unterhaltsam den gegenwärtigen Stand des Projektes zur Modernisierung der Oberfläche der Wikipedia, dass auf der Wikimania 2012 vorgestellt worden war.

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